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Interview

„… liegen bei der Umsetzung unserer Strategie gut im Plan …“

Robert Machtlinger (CEO), Andreas Ockel (COO), Aleš Stárek (CFO) sowie Zhen Pang (CCO) im Gespräch über die Bewältigung der Herausforderungen des Jahres 2022 und die erfolgreiche Umsetzung der Wachstumsstrategie FACC 2030 vor dem Hintergrund anhaltend optimistischer Prognosen für die Luftfahrt- und die Aerospace-Industrie.

Herr Machtlinger, das Jahr 2022 ist durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ganz anders verlaufen als zuvor angenommen. Wie ist es FACC in diesem geopolitisch und wirtschaftlich angespannten Umfeld ergangen?

Robert Machtlinger:

Die Entwicklung war in der Tat ganz anders als erwartet, 2022 war ein extrem intensives Jahr mit vielen unerwarteten Aufgaben. Im Herbst 2021 waren wir noch von globaler Stabilität ausgegangen, und auch die ersten Wochen 2022 haben in diese Richtung gedeutet. Mit 24. Februar haben sich dann alle Vorzeichen umgedreht – mit den bekannten Folgen, von einer weiteren Destabilisierung der Lieferketten und Verwerfungen auf den Energiemärkten bis hin zur massiv gestiegenen Inflation und einer weiteren Verschärfung des Wettbewerbs um Talente.

Der Flugmarkt hat sich bei alldem durch die Aufhebung der Corona- Restriktionen weiter sehr gut erholt, die Menschen haben die wieder gewonnene Reisefreiheit intensiv genutzt – auch wenn gerade der internationale Reiseverkehr noch nicht wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen ist. Das hat auch zu einem starken Anstieg der Flugzeugnachfrage geführt, insbesondere bei Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen, allem voran bei der für uns so wichtigen A320-Familie, aber auch bei den Plattformen A350 und B787 sowie bei Business Jets. Wir sehen deshalb wieder ein sehr gutes Wachstumspotenzial für die kommenden Jahre.

In diesem Umfeld konnten wir 2022 eine Reihe interessanter Neuaufträge gewinnen, auch außerhalb unseres Kerngeschäfts, sowie einige Projekte in die Serienfertigung überführen. Daneben freuen wir uns über einen überdurchschnittlich hohen Anstieg der Entwicklungsleistungen. Hier ist es uns – zusätzlich zur Abrechnung laufender Projekte – auch gelungen, Einmalzahlungen für Entwicklungsleistungen aus der Vergangenheit zu erzielen. Das hat uns sowohl zusätzlichen Cashflow eingebracht als auch unsere Bilanz verkürzt – und zudem künftiges Risiko aus dem Geschäft genommen, weil diese Zahlungen stückzahlenabhängig waren. In Summe ist unser Umsatz damit 2022 um rund 20 Prozent auf 607 Mio. EUR gewachsen – und damit stärker als angenommen. Die Profitabilität hat jedoch unter dem Druck der Inflation gelitten.

Inwiefern hat sich der Ukrainekrieg auf Ihren Geschäftsverlauf ausgewirkt?

Robert Machtlinger:

Die Befürchtungen, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine das Reiseaufkommen neuerlich negativ beeinflussen würde, haben sich nicht eingestellt. Wir beobachten die Entwicklung des Konflikts sehr genau und stehen in engster Abstimmung mit unseren Kundinnen und Kunden. Auch wenn FACC in Russland oder der Ukraine keine direkten Lieferantenbeziehungen pflegt, übrig geblieben ist eine überbordend hohe Inflation, getrieben durch enorme Energiekosten, die besonders den europäischen Wirtschaftsstandort trifft und diesen auch zukünftig beeinflussen wird. Dies könnte mittelfristig eine Ausweitung unserer Standorte in Nordamerika, Indien und Asien sinnvoll machen. Produktseitig haben wir die Lieferungen von Bauteilen an einen russischen Kunden eingestellt. Das dadurch entfallene Umsatzvolumen liegt unter 1 Prozent des Konzernumsatzes und ist damit vernachlässigbar.

Andreas Ockel:

Wie bereits angeklungen, sind die durch die Coronapandemie ohnehin schon beeinträchtigten Lieferketten 2022 durch Unterbrechungen der Materialversorgung und einen verschärften Fachkräftemangel weiter unter Druck geraten. Die durch den Krieg ausgelöste Inflation hat zu einem sehr hohen Preisdruck geführt, dem wir proaktiv begegnet sind. Massive Zusatzkosten ergaben sich auch in der Logistik, waren zum Jahresende aber bereits wieder rückläufig. Und dann sind die Energiekosten bekanntlich massiv angestiegen, was bei uns aber dank unserer Hedging-Strategie nicht voll durchgeschlagen hat. Wir sind hier auch in der guten Position, dass wir bereits seit 2006 Geothermie nutzen und heute nur mehr ca. 18 Prozent der benötigten Energie aus Erdgas gewinnen. Damit ist unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eher gering. Um möglichen Engpässen bei der Gasversorgung zu begegnen, können wir durch eine Investition in kombinierte Gas-/Ölbrenner zur Not aber auch Öl als Reservekraftstoff einsetzen. Außerdem nutzen wir vermehrt selbst produzierten Ökostrom aus unseren Photovoltaikanlagen und kaufen darüber hinaus ausschließlich Strom aus Wasserkraft zu.

Robert Machtlinger:

Was die Flugzeugnachfrage – und damit die Nachfrage nach unseren Produkten – betrifft, ist der russische Markt mit rund 2,8 Prozent der prognostizierten weltweiten Flottenzugänge bis 2041 von überschaubarer Bedeutung. Global betrachtet sprechen wir hier also eher von einer planerischen Unschärfe …

Und wie sieht vor diesem Hintergrund das Ergebnis aus, Herr Stárek?

Aleš Stárek:

Aufgrund des Umfelds etwas durchwachsen. Anders als der Umsatz ist unser operatives Ergebnis gegenüber 2021 nicht signifikant gestiegen. Wir mussten teils erhebliche Materialpreissteigerungen sowie erhöhte Logistik- und Energiekosten tragen, während die indexbasierten Preisanpassungen gegenüber unseren Kundinnen und Kunden immer erst zeitverzögert erfolgen. Das hat natürlich zu Druck auf unser Ergebnis geführt. Mit 5,5 Mio. EUR ist unser EBIT aber positiv, die Tendenz weist auch nach oben.

Der Cashflow betrug im abgelaufenen Jahr –10 Mio. EUR, die Nettoverschuldung belief sich zum Bilanzstichtag auf 188 Mio. EUR und ist damit leicht angestiegen. Hintergrund davon ist, dass wir angesichts der unsicheren Lieferketten unsere Lagerbestände an Materialien und damit unser Working Capital aufgebaut haben, um den höheren Bedarf unserer Kundinnen und Kunden verlässlich abdecken zu können.

Apropos höherer Bedarf: Wenn man sich die Erholung der Luftfahrt ansieht, dürften die positiven Langzeitprognosen, die von stetig steigendem Reiseaufkommen und entsprechend hoher Nachfrage nach neuen Flugzeugen ausgehen, weiterhin zutreffen …

Andreas Ockel:

Ja, der Steigflug ist ungebrochen, und die Industrie ist im wahrsten Sinn des Wortes am Durchstarten. Allerdings gibt es unterschiedliche Phasen mit unterschiedlichen Steigraten. 2022 haben wir Spitzenwerte bei den Flugzeug-Neubestellungen gesehen, gleichzeitig waren die Flugzeugherstellerinnen und -hersteller angesichts der angespannten globalen Lieferketten gezwungen, den Ramp-up zu verlangsamen. Ein Beispiel: Airbus musste bei der A320-Familie die geplante Produktion von 720 auf 700 zurücknehmen, am Ende waren es dann (unter Abzug von zwei Flugzeugen für Aeroflot, die unter die Sanktionen gegen Russland fielen) 661 Flugzeuge, die 2022 neu ausgeliefert wurden.

Der Hauptgrund dafür sind die Engpässe in der Materialversorgung. Davon ist zwar die Airline-Industrie selbst nicht betroffen, die Flugzeugherstellerinnen und -hersteller sind es aber sehr wohl. Hinzu kommen die stark gestiegenen Energiekosten. Und auch im Bereich Human Resources ist die Lage sehr angespannt. Damit wird es zu einer großen Herausforderung, die Lieferziele zu halten. Um dies zu erreichen, sind wir intensiv in unsere Lieferantenkette eingestiegen und haben teils sogar vor Ort sichergestellt, dass die Produktion der für uns wichtigen Materialien und Komponenten funktioniert. Das Jahr 2022 war dadurch einmal mehr anspruchsvoll, doch immerhin war die Reisesituation besser als 2021 und wird sich mit der Aufhebung der Corona-Restriktionen, insbesondere jener in China, weiter entspannen. Im gesamten Jahr 2022 und vor allem zum Jahresende hin ist es uns gelungen, den Bedarf unserer Kundinnen und Kunden zu fast 100 Prozent zu erfüllen. Basis dafür war eine exzellente Teamarbeit, und mein Dank für diese hervorragende Leistung geht an die gesamte FACC Crew!

Robert Machtlinger:

Unser gestiegener Umsatz zeigt eindrucksvoll, dass unsere Maßnahmen zur Absicherung der Lieferketten den erwünschten Erfolg gebracht haben und wir unsere Liefertreue einmal mehr beweisen konnten. Damit haben wir die schwierige Situation alles in allem gut gemeistert und werden das auch 2023 weiter tun. Unsere Marktprognosen sind jedenfalls in Summe optimistisch. Sie werden auch durch die traditionellen 20-Jahres-Forecasts von Airbus und Boeing bestätigt, die beide einen Bedarf von etwa 40.000 neuen Flugzeugen bis 2041 vorhersagen. Für 2023 rechnen wir jedenfalls mit einem weiteren Umsatzwachstum im Bereich von ca. 10 Prozent. Wir haben übrigens sehr positives Feedback zu den 2022 getroffenen Maßnahmen erhalten – unsere Kundinnen und Kunden schätzen es ausgesprochen, dass wir uns zeitgerecht auf steigenden Bedarf eingestellt haben und unsere Lieferverpflichtungen erfüllen. Das ist nicht allen Unternehmen in der Branche gelungen.

Das bedeutet, Sie sind in der Umsetzung Ihrer Strategie FACC 2030, die auf Wachstum in allen Ihren Geschäftssegmenten setzt, weiterhin erfolgreich?

Robert Machtlinger:

Absolut, wir liegen aus heutiger Sicht gut im Plan, und das auf vielen Ebenen. So schreitet etwa der angestrebte Ausbau unseres klassischen Geschäfts mit der Flugzeugindustrie planmäßig voran. Eine wesentliche Rolle spielt dabei unsere Kunden- und Plattformstrategie. Ein Beispiel dafür ist der A220, für den wir im Jahr 2021 große Strukturaufträge mit Airbus unterschreiben konnten. Ab dem Jahr 2025 wird der A220 die zweitwichtigste Flugzeugplattform sein, die wir bedienen. In Zahlen ausgedrückt, soll unser Umsatz mit Komponenten für diesen Flugzeugtyp von knapp 30 Mio. USD im Jahr 2022 bis 2025 auf 100 Mio. USD steigen.

Aber auch sonst gibt es im Flugzeugmarkt jede Menge gute Chancen. Wir verzeichnen z. B. viele Anfragen im Bereich Aerostructures. Hier findet derzeit eine Umverteilung von Arbeitspaketen statt – weg von kritischen oder nicht konkurrenzfähigen Lieferantinnen und Lieferanten hin zu strategischen und innovativen Partnerinnen und Partnern. Und hier sehen wir gute Chancen für FACC, Marktanteile zu gewinnen. Angesichts des überdurchschnittlichen Wachstums in diesem Segment gehen wir davon aus, dass das Strukturgeschäft 2023 unser größter Umsatzbringer sein wird. Erhebliches Interesse verspüren wir gleichzeitig auch bei Business Jets. Bei mittelgroßen Flugzeugausstattungen in diesem Segment sind wir mittlerweile die Nummer 1 auf dem Weltmarkt und bedienen rund 60 Prozent des globalen Bedarfs.

Wir sind aber auch in der Erschließung neuer Märkte – konkret des immer dynamischer wachsenden Segments Urban Air Mobility und des Bereichs Space – erfolgreich. Unser Ziel ist es, mit diesen neuen Aktivitäten außerhalb des regulären Flugzeuggeschäfts bis zum Ende dieses Jahrzehnts ca. 20 Prozent unseres Umsatzes zu erzielen. In der Urban Air Mobility haben wir 2022 mit Archer ein wesentliches neues Projekt gestartet, das unsere Strategie sehr positiv ergänzt.

Und im Bereich Space liegt unser bestehendes Projekt – es betrifft die Kick-Stage für die Trägerrakete Ariane 6 der European Space Agency – weiterhin im Plan. Parallel dazu führen wir Gespräche mit potenziellen europäischen und amerikanischen Kundinnen und Kunden. Wir rechnen in diesem Segment vor 2027 nicht mit wesentlichen Umsätzen, sind aber mit den bisherigen Erfolgen im Aufbau von Geschäft sehr zufrieden.

Dieses Wachstum setzt auch Innovation voraus …

Robert Machtlinger:

Natürlich, deshalb arbeiten wir parallel zur Ausweitung unseres traditionellen Geschäfts und zur Erschließung neuer Märkte laufend konsequent an unserer technologischen Weiterentwicklung und an einem breiten Bündel von Innovationsprojekten. Wichtigste Themen sind hier eine nachhaltige Fertigung, der Einsatz neuer Materialien, v. a. von Thermoplasten, die Entwicklung biologischer Materialien und Recycling auf der Basis von Life Cycle Assessments unserer Produkte. Auch hier liegen wir gut im Plan und haben mit jedem unserer großen Kundinnen und Kunden spannende Entwicklungsprojekte im Laufen. Das Ziel ist es, im Schulterschluss mit unseren Kundinnen und Kunden bis 2050 nachhaltiges Fliegen zu ermöglichen.

… und ebenso eine perfekt aufgestellte Produktion ...

Andreas Ockel:

Damit sind gleich mehrere Themen angesprochen: Einerseits unser globaler Fertigungs-Footprint und die Frage, wo wir welche Produkte fertigen. Hier haben wir in den letzten beiden Jahren mit dem neuen Werk in Kroatien einen ganz wichtigen Schritt in der Umsetzung unserer Strategie gesetzt. Das Werk produziert seit Ende 2021 reibungslos und bestätigt unsere Entscheidung für diese Investition, die nicht zuletzt der Kostensenkung dient. Mehrere Projekte konnten planmäßig nach Kroatien verlagert werden, das Werk 6 fertigt stabil und in hervorragender Qualität Kabinenprodukte für die A320-Familie. Nachdem wir die Investition in Kroatien krisenbedingt zunächst in etwas kleinerem Umfang umgesetzt haben, bauen wir den Standort schon jetzt weiter aus. Von derzeit rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wollen wir mittelfristig auf etwa 600 Beschäftigte wachsen. Ein wichtiger Standortvorteil Kroatiens ist dabei übrigens, dass hier hervorragend ausgebildete Fachkräfte verfügbar sind.

Beim Thema Produktion ist aber auch unsere Fertigungstiefe bzw. unser Integrationsgrad angesprochen, den wir laufend erhöhen – aus Effizienz- und Kostengründen, aber auch um unsere Abhängigkeit von kritischen Lieferantinnen und Lieferanten zu reduzieren. Zuletzt haben wir etwa die Fertigung von metallischen Bauteilen in den eigenen Bereich überführt. Wir produzieren damit die Beschläge für unsere Schubumkehrhülsen selbst. Darüber hinaus haben wir weitere Projekte in diesem Bereich gestartet, z. B. metallische Bauteile für unsere A220-Höhen- und Seitenruder. Dafür werden wir die Produktionskapazität mit weiteren Investitionen ausbauen, was unser neues Kompetenzfeld sehr deutlich bestätigt.

Wir erweitern aber nicht nur unseren Produktionsradius, sondern machen auch bei den Produktionsmethoden und -verfahren laufend Fortschritte. Besonders stolz sind wir darauf, dass wir 2022 unsere erste Assembly Moving Line in der Ausfertigung von Kabinenprodukten aufsetzen konnten. Hier haben wir mit einem gezielten Investment, das sich in kurzer Zeit wieder einspielen wird, eine deutliche Steigerung der Produktivität erzielt. Zu unserer Freude ist auch das Feedback der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur neuen Fertigungsstraße sehr positiv ausgefallen. Arbeitserleichterung und Produktivitätssteigerung gehen damit Hand in Hand.

Parallel dazu arbeiten wir laufend an der weiteren Digitalisierung des Shopfloors und verwirklichen zunehmend das Konzept einer papierlosen Fertigung. Das erhöht naturgemäß die Prozessstabilität und die erzielte Qualität. Unterstützt wird die Produktion dabei durch ein neues Computer-Aided-Quality-System, das Unregelmäßigkeiten erkennt, bevor es überhaupt zu einem Fehler kommt. Vor allem beim Anlauf neuer Projekte ist das extrem hilfreich. Ebenso haben wir die Logistik unter dem Titel „Digital Warehouse Management“ auf digitale, papierlose Prozesse umgestellt. Das erhöht nicht nur die Nachverfolgbarkeit, sondern liefert uns eine ständig aktuelle Inventur.

Gab es 2022 spannende neue Aufträge?

Robert Machtlinger:

Ja, es gab sogar eine ganze Reihe interessanter Neuprojekte, die unseren Wachstums- und Diversifikationspfad untermauern. Allerdings dürfen wir über die meisten davon nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Ein besonders spannendes Projekt im Bereich Urban Air Mobility, das vorhin schon kurz erwähnt wurde, kann ich aber ansprechen: Von Archer, einem börsennotierten amerikanischen Start-up, wurden wir mit der Entwicklung von Rumpf- und Tragflächenkomponenten sowie der Innenausstattung für ein neues vertikal startendes elektrisches Kleinflugzeug beauftragt. An dem Projekt sind auch United Airlines und Stellantis, einer der führenden globalen Automobilhersteller, beteiligt, wir selbst fungieren als Technologiepartnerin. Dieser Auftrag ist ohne Zweifel ein wesentlicher Meilenstein bei der Erschließung dieses neuen Markts. Sehr positiv entwickelt sich daneben der Aftermarket-Bereich: Unsere 2021 gegründete Operation in Florida rüstet bereits erste Flugzeuge um, und ganz allgemein zieht das Geschäft nach der Krise wieder an. Auch einen Auftrag eines amerikanischen Kunden über die Wartung von Composite-Komponenten von Triebwerken konnten wir akquirieren und werden allein mit diesem Projekt ab 2023 jährlich 10 Mio. USD Umsatz erzielen. All dies zeigt: Die Investitionen und Ratifizierungen der letzten Jahre machen sich bezahlt.

Und wie entwickelt sich der Markt in China?

Zhen Pang:

Wenn man sich die aktuellen Prognosen ansieht, ist China in den nächsten beiden Jahrzehnten nach Nordamerika und Europa der drittgrößte Flugzeugmarkt der Welt – Boeing erwartet z. B., dass chinesische Airlines bis 2041 knapp 8.500 neue Flugzeuge in ihre Flotten eingliedern werden. Auch für FACC bedeutet dies sehr interessantes Potenzial. Das belegen auch die Fertigungsraten der beiden chinesischen Flugzeugplattformen, auf denen FACC derzeit vertreten ist: Bei der COMAC C919, die 2022 ihre Typenzulassung erhalten hat, ist gerade die Serienfertigung angelaufen. 2022 wurden vier Einheiten ausgeliefert, 2023 sollen es etwa doppelt so viele sein, und für 2024 wird ein weiterer Anstieg um ca. 100 Prozent gegenüber 2023 prognostiziert. FACC fertigt für dieses Flugzeug Cockpit- und Kabinenausstattungen sowie Spoiler und Winglets. Und beim ARJ21, dessen Cockpit- und Passagierkabine FACC produziert, hat sich die jährliche Rate stabilisiert und dürfte sich in den nächsten Jahren auf diesem Niveau halten. Die C919 wird mittelfristig übrigens eine ähnliche Bedeutung für FACC haben wie der A320 und ein jährliches Umsatzvolumen von rund 100 Mio. EUR repräsentieren.

Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit für FACC? Sie haben ja im vergangenen Jahr konkrete Nachhaltigkeitsziele und auch eine Roadmap zu ihrer Umsetzung formuliert …

Robert Machtlinger:

Wir haben damit Dinge konkretisiert und in Zahlen gegossen, die wir schon seit Langem im Unternehmen leben. Nachhaltigkeit ist ein integraler Teil unserer Strategie, denn es besteht kein Zweifel daran, dass unsere gesamte Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger werden muss. Wir haben bei FACC schon Projekte in diese Richtung verwirklicht, als Nachhaltigkeit noch nicht in aller Munde war. Beispiele dafür sind die heute schon erwähnte Nutzung von Geothermie und Photovoltaik, die uns weitgehend unabhängig von fossiler Energie gemacht hat, aber auch die gezielte Wahl umweltfreundlicher bzw. überhaupt biologischer Materialien und konsequentes Recycling bis hin zur Kreislaufwirtschaft. Ganz abgesehen davon, dass unser Geschäft in sich nachhaltig ist, denn wir tragen mit unseren Produkten maßgeblich zur Gewichtsreduktion und damit zur CO2-Vermeidung in der Flugindustrie bei.

Aleš Stárek:

Nachhaltigkeit geht dabei weit über das Thema Umwelt hinaus, unsere Gesamtstrategie berücksichtigt alle Aspekte des Konzepts ESG und umfasst deshalb eben nicht nur Finanzziele, sondern auch ESG-Ziele. Dabei binden wir auch unsere Lieferantinnen und Lieferanten über unseren seit Jahren bestehenden Code of Conduct bewusst mit ein. Wir sind auf diesem Weg insgesamt so weit, dass wir bei der Taxonomie-Verordnung nicht fragen müssen, welche Vorgaben wir erfüllen, sondern wie wir unsere Fortschritte darstellen.

Die Wirtschaft klagt derzeit beinahe unisono über einen akuten Fachkräftemangel. Wie steht es hier bei Ihnen?

Robert Machtlinger:

Der demografische Wandel und auch der Wandel in den Vorstellungen der Menschen bezüglich ihrer Arbeit treffen uns nicht unvorbereitet. Wir haben im vergangenen Jahr hier in Oberösterreich rund 1.800 Vorstellungsgespräche geführt und etwa 300 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord geholt, hinzu kommen weitere ca. 100 in Kroatien – das zeigt, dass wir gut vorbereitet sind. FACC ist als Unternehmen interessant für den Arbeitsmarkt. Menschen aus 45 Ländern arbeiten hier bei uns – und das in einer nicht gerade zentralen Region.

Sehr wichtig sind uns dabei ein professionelles Mitarbeiter-Onboarding und die möglichst langfristige Bindung bestehender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb arbeiten wir gerade an einem Konzept für ein neues FACC Welcome- und Trainingszentrum. Denn wir brauchen in den nächsten 18 Monaten rund 600 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir ebenfalls rasch ins Unternehmen integrieren wollen. Parallel dazu investieren wir deutlich stärker in die Führungskräfteentwicklung. Das ist für uns eine wesentliche Voraussetzung, um das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen zu können.

Ein Smart-Mobility-Projekt aus dem vergangenen Jahr, das in die Kategorie Mitarbeiterbindung fällt, möchte ich hier noch erwähnen: Um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesichts der massiven allgemeinen Kostensteigerungen zu entlasten, stellen wir für Fahrgemeinschaften von vier bis sieben Personen jeweils ein Elektrofahrzeug zur Verfügung, das im Werk aufgeladen werden kann. Damit schaffen wir eine Win-win-Situation für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Umwelt. Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Angebot sehr gut aufgenommen wurde. Basierend auf einer internen Erhebung vom Jänner 2023 haben bereits mehr als 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Interesse an einer solchen E-Fahrgemeinschaft.

Wie sieht es aktuell mit Investitionen aus?

Andreas Ockel:

Nachdem das Werk in Kroatien schon Ende 2021 fertiggestellt war, sind unsere Investitionen 2022 primär in neue Projekte bzw. in Ratensteigerungen bei bestehenden Aufträgen geflossen. Beispiele dafür sind das schon erwähnte Projekt für Archer oder ein neues Winglet für die Dassault Falcon 10X, Ratensteigerungen gab es z. B. beim Wing-to-Body Fairing für den A220 oder bei den Gepäckablagefächern für die A320-Familie. Daneben haben wir auch in Arbeitssicherheit, insbesondere in Brandschutz, investiert. 2023 folgt nun die nächste Ausbaustufe im neuen Werk in Kroatien.

Herr Stárek, unmittelbar vor diesem Interview haben Sie die Verträge über einen neuen Konsortialkredit unterschrieben. Damit ist die Refinanzierung des alten Kredits sehr frühzeitig gelungen …

Aleš Stárek:

Das verdanken wir dem Umstand, dass wir angesichts der schwierigen geopolitischen Situation, die sich ja auch auf die Finanzmärkte massiv auswirkt, schon frühzeitig über eine Verlängerung zu verhandeln begonnen haben, obwohl der alte Konsortialkredit erst im August 2023 ausgelaufen wäre. Das hat sich als sehr klug erwiesen, da Kreditvergaben im aktuellen Umfeld deutlich restriktiver gehandhabt werden. Das Volumen des neuen Kredits beträgt – so wie bisher – 225 Mio. EUR, der Zinsaufwand steigt angesichts der aktuellen Zinslandschaft natürlich. Zu unserer großen Freude gehören unsere fünf österreichischen Kernbanken dem Konsortium weiterhin an.

Mit dieser Finanzierung stellen wir die strategischen Weichen für unsere Unternehmenszukunft: Der Fokus liegt stark auf dem weiteren Ausbau unseres Werks in Kroatien und auf Investitionen in neue Projekte. Da wir so gut wie ausschließlich für den Export produzieren, entfällt ein großer Teil davon auf von der OeKB unterstützte Exportinvestitionen. Die neue Finanzierung bietet zwar auch mehr Flexibilität für Dividenden, für 2022 wird es aber noch keine Ausschüttung geben.

Damit sind wir bei Ihrer Aktie angelangt. Wie sieht denn der Kapitalmarkt Ihre aktuelle Entwicklung und Ihr Potenzial?

Aleš Stárek:

Im allgemein schwierigen Marktumfeld des vergangenen Jahres hat auch unsere Aktie an Wert verloren, mit einem Minus um die 25 Prozent sogar noch deutlicher als der österreichische Markt insgesamt. Gemessen am gesamten Aerospace-Markt bewegen wir uns damit etwa im Rahmen unserer (rein zivilen) Peer Group. Das Interesse an der FACC-Aktie ist aber ungebrochen, und wir führen laufend Gespräche mit Investorinnen und Investoren sowie Analystinnen und Analysten. Nachdem viele Investorinnen und Investoren selektiver geworden sind und sich nur mehr mit Unternehmen treffen, an denen sie wirklich interessiert sind, ist das jedenfalls ein positives Signal. Viele Investorinnen und Investoren sehen Potenzial in Aktien, die mit Luftfahrt zu tun haben; bis sich das tatsächlich in Aktienkäufen niederschlägt, wird es aber noch dauern: Die Luftfahrt wird sicher noch ein paar Quartale brauchen, bis sie sich nach Corona ganz erholt – dasselbe gilt für die Aktien der Aerospace-Industrie. Seit Anfang 2023 hat unser Kurs aber wieder stetig zugelegt und lag zuletzt wieder über 7 EUR.

Herr Machtlinger, mit der Strategie FACC 2030 haben sie sich auf einen globalen Wachstumspfad begeben, der auf vertikale Integration, hohe technologische Qualität sowie auf neue Anwendungen jenseits Ihres Kerngeschäfts in den Bereichen Urban Air Mobility und Space setzt. Wie sieht Ihr Ausblick für 2023 aus?

Robert Machtlinger:

Sowohl das steigende Reiseaufkommen in der Luftfahrt als auch die Prognosen unserer Kundinnen und Kunden bestätigen die Wachstumsannahmen unserer Strategie. Auch wenn der Wachstumsschub im Bereich der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge aufgrund verschiedener Einflüsse etwas weniger deutlich ausfällt, erwarten wir für dieses Segment, das rund 80 Prozent der bestellten Flugzeuge ausmacht, für 2023 einen Nachfrageanstieg um ca. 10 Prozent. Doch auch der Langstreckenflugzeugmarkt wird in den kommenden 24 Monaten dank der steigenden internationalen Reisetätigkeit um rund 20 Prozent wachsen. Vor diesem Hintergrund werden wir mit dem Ausbau unseres Standorts in Kroatien sowie der Ausweitung des Fertigungs- und Produktportfolios in unserem Werk in Wichita, USA, wesentliche Globalisierungsmeilensteine umsetzen.

Parallel dazu steht unsere Supply Chain im Fokus, denn die Performance unserer Lieferantenpartnerinnen und -partner ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für FACC: Mehr als 55 Prozent der Wertschöpfung liegen im Material- und Komponentenzukauf. Deshalb werden wir weniger innovative Supply Chains bzw. Lieferantinnen und Lieferanten, die sich den Anforderungen des Markts nachhaltig verschließen, durch strategische Partnerinnen und Partner oder durch die Integration in unsere eigene Wertschöpfungskette substituieren. Neben einer Kostenreduktion wollen wir damit Innovationen auch außerhalb von FACC vorantreiben, denn nur in enger Kooperation mit unseren Lieferantinnen und Lieferanten werden wir den steigenden Anforderungen des Markts an eine Tier-1-Partnerin nachhaltig gerecht werden.

Unsere Forschungs- und Technologieprojekte sind auf Plan und werden in enger Abstimmung mit unseren Kundinnen und Kunden sowie Entwicklungspartnerinnen und -partnern konsequent fortgesetzt. Ziel ist es hier, die technologische Transformation hin zum CO2-freien Fliegen maximal zu unterstützen und unseren Kundinnen und Kunden die für die nächste Generation an Flugzeugen benötigten Technologien zeitgerecht und abgesichert anzubieten.

Weiterhin positiv entwickeln sich auch unsere neuen Partnerschaften im Bereich Urban Air Mobility. Mit der Entwicklung neuer Produkte und dem Einsatz neuer Materialien und Prozesse ermöglichen wir eine neue Art der Leichtbautechnologie, die die Herstellung großer Stückzahlen in effizienter und leistbarer Weise ermöglicht. Die Überführung solcher neuen Prozesse in unser Kerngeschäft birgt zusätzliche mittel- und langfristige Möglichkeiten.

Bei alldem ist uns bewusst, dass auch das Jahr 2023 ein Jahr der Herausforderungen bleibt. Wir erwarten erst ab dem vierten Quartal 2023 eine nachhaltige Stabilisierung der globalen Supply Chains, zudem wird die Inflation – speziell in Europa – den Preisdruck auf hohem Niveau halten. In Summe erwarten wir, dass das geplante Wachstum weitgehend in eine Steigerung der Profitabilität und damit ein höheres EBIT umgesetzt werden kann.